Die Walzer von Frédéric Chopin

Konzertvortrag der Chopin-Gesellschaft Hamburg & Sachsenwald e.V. in Kooperation mit der Hochschule für Musik und Theater Hamburg.

Chopins Walzer wirkten so anziehend, dass sich der Mendelssohn-Saal in der Musikhochschule an diesem Freitagabend vor Palmsonntag schnell füllte. Sogar am Fenster hinter dem Klavier, an den Kaminen entlang und vor dem Flügel drängten sich die Besucher auf den dicht an dicht gestellten Stühlen. Eines sei schon jetzt verraten: Es hat sich gelohnt!

„Walzer zu tanzen ist unmoralisch!“, so lautete die Einstellung der Menschen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Die Damen verließen empört den Saal, sobald er aufgespielt wurde, denn öffentliche Umarmungen galten als unschicklich. So mancher meinte, dass das ständige Wirbeln beim Tanzen zu verschiedenen Krankheiten, ja sogar zum Tode führen könne. Nichtsdestotrotz hielt der Walzer unaufhaltsam Einzug in die Ballsäle Europas. Zum ersten Mal wurde er anlässlich des Wiener Kongresses 1814/15 getanzt.


Walzer – nur die „kleine Schwester“ in der Klassik

Berühmte Komponisten wie z.B. Johann Strauß, Johannes Brahms und Franz Schubert erschufen populäre Orchesterwerke, die aus der klassischen Musik gar nicht mehr wegzudenken sind. Die Walzer Chopins gehören mit zu seinen berühmtesten und beliebtesten Kompositionen. Zwar gilt diese „Tanzmusik“ in der klassischen Musik als nicht besonders ernstzunehmend gegenüber anderen Formen der Klassik. Trotzdem lieben die Menschen den wellenartigen Rhythmus und so hat er bis heute die Zeiten überdauert. Was das Besondere gerade an Chopins Walzern ist, erklärte uns Frau Prof. Elżbieta Karaś-Krasztel von der Frédéric Chopin Universität für Musik Warschau.


Hervorragende Pianistin bei uns zu Besuch

Doch zunächst: Wer ist die Dame, deren Vortrag uns Prof. Rutkowski von der Chopin-Gesellschaft so getreulich übersetzte? Die Trägerin von vielfachen Auszeichnungen gastierte u.a. in Athen, Moskau, Australien und Kanada. Besondere Beachtung fanden ihre Aufnahmen im Polnischen Rundfunk und Fernsehen sowie Alben zu den Werken Mozarts und Chopins. In der Berliner Philharmonie erregte ihr Spiel Aufsehen und ihre Zusammenarbeit mit dem Sinfonia-Varsovia-Orchester wurde in der Deutschen Presse beeindruckt kommentiert. Mittlerweile widmet sie sich auch Werken unbekannter polnischer Komponisten und ist Mitglied es Prima-Vista-Quartetts für Kammermusik. Ihre Bühnentätigkeit sowie pädagogische Leistung wurde mehrfach ausgezeichnet. Und wir sahen eine verschmitzt lächelnde Dame vor uns, die warmherzig erzählte, ihr Wissen mit uns teilte und zauberhaft auf dem Steinway-Flügel spielte.


Romantische Miniaturen für die Damen

17 Walzer hat Chopin geschaffen und jeder von ihren hat einen ganz eigenständigen Charakter, so berichtete uns Frau Prof. Karaś-Krasztel. Jedoch gab er nur acht von ihnen für die Öffentlichkeit frei. Warum nur? Tatsächlich hatte er einen guten Teil von ihnen Damen gewidmet, die er verehrte. Unter ihnen waren z.B. Gräfin Delfina Potocka, Baronesse Nathaniel die Rothschild und Maria Wodzinska. In einem Brief bittet er eine der Damen: „Bezüglich dieses Walzers, den ich für Sie komponiert habe, bitte behalten Sie ihn für sich. Ich möchte nicht, dass dieses Stück ans Tageslicht gelangt.“ Die eleganten Miniaturen erzählen also auch vom gesellschaftlichen Leben des chevaleresken Chopin.


Chopin im Dreivierteltakt

Zu dieser Zeit schrieb man Walzer für die Aufführung mit Orchester. Chopin jedoch versuchte etwas Neues: Er komponierte als erster seine Walzer ausschließlich für Klavier. Sie besitzen einen ganz eigenen Charakter, den wir schon in den ersten Takten erkennen können. Hier stellte uns Frau Prof. Karaś-Krasztel einige dieser brillanten Stücke vor. Stilistisch weniger aufwändig, seien sie auch zum Spielen für fortgeschrittene Laien geeignet und allgemein von fröhlicherer Natur. Vorwiegend für die Salons verfasst, sind sie wenig zum Tanz geeignet. Was die virtuose Pianistin als „weniger aufwändig“ bezeichnet, sind Musikstücke, die ein großes Maß an „erzählerischem Können“ voraussetzen. Sie eilen in ihrer Dynamik und Artikulation durch verschiedenste Strömungen von Stimmungen und Betonungen.


Man zieht alle Register

Haben Sie den fröhlichen „Minutenwalzer“ (Des-Dur op. 64 Nr. 1) im Ohr? Den A-Moll-Walzer auch als „Tristesse“ bekannt? Schwung und Temperament wechseln einander mit Melancholie und Seelentiefe ab und lassen Poesie und funkelnde Brillanz durchschimmern. Eine echte Herausforderung, so die Pianistin später, die ihr Einiges abverlangte, da sie sich so schnell umstellen musste. Innerhalb der Folge von 11 Walzern, die sie uns zum Besten gab, musste sie ihre Stimmung so schnell ändern, als würde sie in eine neue Rolle schlüpfen. Sie erläuterte, dass der Komponist seinen Walzern eine breite Emotionalität gab, indem er Oktavensprünge, Glissandi, unterschiedliche Tonarten und verschiedenste Figurationen benutzt. Das Publikum ist fasziniert – so sehr, dass wir die Professorin um etliche Zugaben bitten. Sogar Prof. Rutkowski muss mit ans Klavier. Sie spielen vierhändig mit ausgelassener Freude. Mittendrin steht der Präsident der Gesellschaft auf, läuft auf die andere Seite des Klavierhockers und rückt an die rechte Seite von Frau Prof. Karaś-Krasztel, sehr zum Vergnügen des Publikums.


Musik als Gemälde

Wenn wir hier die Musik mit Gemälden vergleichen, stellen wir fest, dass es die unterschiedlichsten Formate und Größen gibt. In einer Kunstgalerie würden die Walzer eher als kleinformatige Werke eingestuft werden. Jedoch mit Chopins Ausnahmetalent erschaffen, strahlen sie ebenso sehr wie großflächige Ölgemälde. Musikalische Themen, Sprenkel von Masurken, Klangfarben einer späten Herbststunde oder eines Frühlingsmorgens – es gibt auch in den „kleinen Werken“ Chopins viel zu entdecken.

Ausrufe wie: „Das war ja etwas ganz Besonderes!“ schnappten wir vom Publikum im Hinausgehen auf. Von seinen Zeitgenossen als Kavalier mit berückendem Charme beschrieben, verzaubert uns Chopin mit seiner Musik sogar noch heute, fast 170 Jahre nach seinem Tod. Seine Werke zu hören, ist ein Genuss. Zusätzlich im Vortrag etwas über sein Leben und seine Motive zu hören, ist eine wirkliche Bereicherung, um zu verstehen, welchen Rang Chopin als ein Erneuerer der Klavierkunst und Komposition in der Welt der Musik einnimmt.