Erstes Chopin-Festival in Hamburg

Moderne vs. historische Flügel

Alles Steinway oder was? Beim ersten Hamburger Chopin-Festival wurde gezeigt, dass es Klänge jenseits des weltweit auf CDs und in Konzertsälen standardisierten Flügels gibt. Die Pianisten spielten Werke auf historischen und modernen Instrumenten - und boten so einen spannenden Hörvergleich.

Von Elisabeth Richter, DLF, 02.07.2018

"Die Alten, die haben eine Seele", sagt die polnische Pianistin Ewa Pobłocka. "Zum Beispiel der Pleyel, obwohl es sehr schwer ist, den Klang herauszubringen, ist es aber inspirierend: die Farben! Und auch, wenn man sich Mühe geben muss, um einen längeren Klang zu erreichen, man muss immer aktiv werden, und dann, der Flügel antwortet." Ein Nocturne von John Field, gespielt auf einem Pleyel Flügel von 1847 von Ewa Pobłocka. Jedes historische Instrument, erzählt die Pianistin aus Warschau, habe seine Eigenheiten, mit denen man als Künstler zurechtkommen müsse. Ewa Pobłocka spielte bei ihrem Rezital beim ersten Hamburger Chopin Festival auch auf einem Broadwood von 1841 aus London. "Der Broadwood ist näher an unseren Flügeln des 20. Jahrhunderts. Der Unterschied zwischen den beiden ist so, dass man sich beim Pleyel wirklich Mühe machen muss, um den Klang zu erreichen. Beim Broadwood ist er schon mehr von dem Flügel selbst gegeben. Und bei dem Pleyel muss ich das von Anfang an machen, es ist nichts gegeben. Man muss wirklich aktiv werden, ich fühle heute meine Finger nach."


Jede Klangwelt hat eigene Reize

Im zweiten Konzertteil war Ewa Pobłocka mit Chopin dann auf einem Steinway Flügel von 2015 zu hören. Auch hier gelangen der Pianistin berührende Farben, aber ganz andere. Jede Klangwelt hat ihre Eigenheiten und ihren Reiz. Genau darum ging es beim ersten Hamburger Chopin Festival: Mehr oder weniger bekannte Klaviermusik von Chopin und anderen neu zu hören und zu erleben, wie sich die Musik verändert, wenn sie auf historischen Instrumenten erklingt. Festival-Intendant Hubert Rutkowski, Pianist und Professor an der Musikhochschule Hamburg, hat das Konzept entwickelt.

"Wenn wir über das moderne Instrument sprechen, alle Lagen, alle Register sind wirklich sehr egalisiert, das ist so perfekt alles. Bei dem alten Flügel, zum Beispiel bei einem Hammerflügel aus dem 19. Jahrhundert, wenn wir das Bassregister spielen, klingt das ganz anders, das hat einen ganz anderen Charakter, ein 'gefährlicher' Charakter würde ich sagen, und in den hohen ist das wirklich ein ätherisches Singen und ein perlender Klang. Also das sind wirklich große Unterschiede, die für Pianisten und Musiker sehr erfrischend sind."

Und nicht nur für die Pianisten, sondern auch für das Publikum. Hubert Rutkowski möchte zeigen, dass es Klänge jenseits des weltweit auf CDs und in Konzertsälen standardisierten Steinways gibt. Wichtig ist auch die intime Atmosphäre des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe. Im neoklassizistischen Spiegelsaal steht der moderne Steinway, und auch die Sammlungsräume mit den zahlreichen historischen Tasteninstrumenten haben eine intime Atmosphäre und noch dazu eine gute Akustik. "Das ist alles, ich würde sagen, eine Atmosphäre eines Salons aus dem 19. Jahrhundert, wo wir auch Gespräche mit Künstlern führen, das Publikum ist auch aktiv in einem Dialog."


Salon-Atmosphäre

Tobias Koch, Pianist und Professor in Düsseldorf, ließ bei seinem Konzert - um die Salon-Atmosphäre heraufzubeschwören - auch das Licht herunterdimmen, zwei schwache Scheinwerfer zeigten ihn an einem französischen Flügel von Rousselot aus dem Jahr 1830. Sein Rezital-Programm war eine Rekonstruktion des letzten öffentlichen Konzerts, das Chopin wenige Monate vor seinem Tod in England gab.

Im ersten Teil ein wenig virtuosere Werke, wie Etüden oder die Grand Valse brillante, im zweiten, etwas intimeren Teil einige Mazurken, eine Ballade und kurze Walzer. Tobias Koch faszinierte und überraschte auch mit einem unglaublich freien, agogischen und lustvollen Spiel. Diese Mazurka präsentierte er auf dem Broadwood Flügel von 1841 aus London. "London war ja eben sehr früh eine moderne Großstadt, sehr früh industrialisiert, Broadwood hat industriemäßig produziert, arbeitsteilig mit Dampfmaschinen usw.", erklärt Olaf Kirsch, Kurator der Sammlung Musikinstrumente am Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg.

"Es gab ja relativ große Konzertsäle in London, das heißt, man hat in England schon versucht klangstärkere, robuste Instrumente zu bauen. Es ist wie eigentlich wie heute, wenn man sich klischeehaft einen Klaviervirtuosen vorstellt, dann ist das jemand, der auch mal kräftig zulangt. Während eben diese Wiener Tradition, die bei Pleyel noch mehr zum Tragen kommt, doch eher eben eine sehr viel feinere ist, die nicht so auf große Wirkung, al fresco, Liszt oder so, sondern eher etwas intimer orientiert ist; Ich fand gestern beim Konzert von Frau Pobłocka, dass gerade dieser Pleyel sehr sprechend klang."

Einen echten Wiener Hammerflügel, 1815 gebaut von Joseph Brodmann, konnte man dann im letzten Konzert mit dem russischen Pianisten Alexei Lubimov hören, der eine Sonate von Jan Ladislav Dussek spielte, ein Werk übrigens, das Beethoven sehr schätzte.


Musiker müssen ihre Technik anpassen

Es war spannend, die Unterschiede zwischen den verschiedenen historischen Instrumenten und dem modernen Steinway zu hören. Festival-Leiter Hubert Rutkowski – und nicht nur er – bekennt, die Beschäftigung mit den alten Flügeln sei für ihn wie eine Klavierschule: Man müsse sein Spiel grundsätzlich überdenken und ein bisschen von vorne anfangen.

"Der Klang hat eine komplett andere Gestalt, da muss man sich wirklich umstellen und auch die Technik anpassen, und das ist für das Spiel auf dem modernen Flügel total gut, weil man die Kontrolle oder auch die Farben, die Vorstellungen auf einem modernen Flügel danach übertragen kann. Das geht wirklich in beide Seiten, das kann ich nur empfehlen."


Retrospektive als Audio-Beitrag