Warum Chopin?

Seine einzigartigen Werke machen Frédéric Chopin zu einem der außergewöhnlichsten Komponisten der Musikgeschichte.

Die außergewöhnlichen, bahnbrechenden Elemente seiner Klangsprache weisen weit über seine Zeit hinaus. Ohne seine Neuerungen in der Harmonik lassen sich Wagner oder Debussy nicht denken. Es ist keineswegs vermessen, ihn in eine Reihe mit Mozart und Beethoven zu stellen. Äußert man das vorher Beschriebene in Gesprächen, erntet man gewöhnlich skeptische, mitleidige, ungläubige Blicke. Das Werk Frédéric Chopins erstickt auch heute noch in romantischen, biographischen Legenden und den Lobeshymnen der vornehmen Gesellschaft und berühmter Musikerkollegen seiner Zeit. Auch wenn das Meiste daran wahr ist, muss man es doch vom Kitsch befreien. Will man den musikalischen Genius Chopins und sein Wesen erfassen, kann man ihn nicht allein aus dem Umfeld der Pariser Salons erschließen.

Die Musikwissenschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in unsere Zeit hat die Genialität und Bedeutung Chopins längst erkannt und in unzähligen Studien und Schriften weltweit begründet, untermauert, bestätigt. Manchmal ist es für das Verständnis hilfreich, sich mit ein paar Fakten vertraut zu machen.

Tun wir einmal so, als befänden wir uns in einem Konzertsaal und es wird Chopin gespielt. Chopin zu spielen, ist auch für berühmte Virtuosen nicht einfach. Die ausgefeilte Technik Chopins macht es ihnen nicht leicht. Ein Beispiel dafür sind Chopins Etüden. Seine Etüden haben nichts zu tun mit den üblichen Trainingsstücken der Klavierliteratur, in denen die Technik vom musikalischen Gehalt abgekoppelt wurde. Die 1833 erschienen Etüden Chopins op.10 wirkten wie eine Sensation und man meinte, sie seien unspielbar. Chopin verlangte mit seinem op.10 eine völlig andere, unbekannte Klaviertechnik. Unter den zahlreichen Pianisten seiner Zeit gab es nur einen, der sie spielen konnte: Liszt, dem die ersten 12 Etüden gewidmet waren.

Ein Beispiel für den Schwierigkeitsgrad ist, dass bei Chopin die rechte Hand nicht alleine für die Melodie und die linke Hand für die Begleitung da sind. Bei Chopin spielen der Mittel-, Ring- und kleine Finger, also die schwachen Finger der rechten Hand die Melodie, aber gleichzeitig sollen der Daumen und der Zeigefinger der rechten Hand zusätzlich zur linken Hand eine eigenständige Begleitung spielen. Wer sich dem Werk Chopins nähern möchte, höre seine Etüden op. 10 und op. 25. Sie sind jede für sich bestaunenswerte, musikalische Kunstwerke.

Aber nicht nur die Technik machte es den Künstlern damals wie auch heute schwer, Chopin zu spielen. Noch gravierender als die Technik, sind Chopins Eigenständigkeit und die neuen Wege, die er einschlug. Auch wenn Chopins Spiel nicht mehr erlebbar ist, so gibt es doch eine Fülle eigener Beschreibungen aus seiner nur fragmentarisch erhaltenen Klavierschule und Beschreibungen von Musikern und Zeitgenossen, die ein Bild von Chopins Spielweise ergeben. Chopin zu romantisch gespielt, lässt ihn süß erscheinen, was er nicht ist, spielt man ihn zu klassisch wirkt er trocken, was er auch nicht ist.

Wer Chopin erleben möchte im idealen Ausdruck und in Chopins Spielweise, gehe in ein Konzert des Pianisten Sokolov – oder zu Hubert Rutkowski. Dann gehe man in ein zweites Konzert mit demselben Pianisten, mit demselben Programm. Es hört sich ganz anders an, aber es ist immer noch Chopin; denn auch Chopin interpretierte seine eigenen Stücke immer wieder anders und brachte seine Schüler damit zur Verzweiflung.

So kommen wir zum letzten Stichwort, der Improvisation. Chopin hat nur in wenigen Ausnahmen nach literarischen Vorbildern komponiert. Chopins Kompositionen entwickelten sich häufig aus Improvisationen. George Sand beschreibt, wie heftig und oft verzweifelt Chopin darum kämpfte, seine auf dem Klavier schon vollständig ausgeführte Idee auf dem Papier festzuhalten. Improvisationen hatten zu Chopins Zeiten einen anderen, viel höheren Stellenwert als heute, sowohl in der Ausbildung als auch im Konzertgeschehen. Das Fantasieren auf dem Klavier war Gegenstand höchster Bewunderung. Chopin gehörte zu den besten Improvisatoren seiner Zeit, neben Mozart und Beethoven. In Chopins Konzerten lagen seine Improvisationen als umjubelter Höhepunkt immer am Ende seines Konzerts. Diese hohe Kunst der Improvisation kann nicht jeder, hier scheiden sich auch heute noch die Geister.

Chopins Musik ist aus reiner Emotion geboren. Er konnte die Seele eines Klaviers erfassen und Chopins Stimme war deutlich zu vernehmen, seine Liebe, seine Hoffnungen, sein Lachen, seine Kämpfe, seine Trauer und seine Träume. Warum Chopin? Die Musik Frédéric Chopins geht direkt ins Herz, man braucht ihr nur zuzuhören.